„Intelligente Verbindungen“. Interdisziplinäre Tagung zu den Wechselwirkungen zwischen Technik, Textildesign und Mode

„Intelligente Verbindungen“. Interdisziplinäre Tagung zu den Wechselwirkungen zwischen Technik, Textildesign und Mode

Organisatoren
netzwerk mode textil e. V; Hochschule Niederrhein, Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik
Ort
Krefeld-Linn
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.03.2009 - 14.03.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Birgit Haase, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg

„Intelligente Verbindungen“ lautete der Titel der Auftaktveranstaltung von netzwerk mode textil e. V., einer im letzten Jahr gegründeten Interessensvertretung der kulturwissenschaftlichen Textil-, Kleider- und Modeforschung. Mit dieser dreitägigen Tagung – von Elisabeth Hackspiel und Birgitt Borkopp inhaltlich und organisatorisch hervorragend vorbereitet und geleitet –, setzten die Veranstalterinnen erstmals ihre Ideen für einen fachübergreifenden Gedankenaustausch in die Praxis um.

Der markante und durchaus doppeldeutig gemeinte Tagungstitel und die damit vorgegebene Themenstellung waren ausgezeichnet gewählt. Einerseits vermittelte das Motto die Netzwerkidee, das heißt das „intelligente Verbinden“ von ansonsten nur sporadisch miteinander kooperierenden Disziplinen. Andererseits stand es für den Themenschwerpunkt der Tagung, die Verbindung von Technik und Design – eine in der Wissenschaft bisher wenig erforschte Fragestellung.

Die Resonanz darauf war sehr positiv. Besonders hervorzuheben ist die ungewöhnlich breite Mischung der Teilnehmenden, die aus sehr unterschiedlichen beruflichen Sparten kamen: Mode- und Textildesign, Kleidungsforschung, Mode-, Kunst- und Kulturgeschichte, Technikgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Ethnologie, Bühnenkostümgestaltung, Textilrestaurierung, Textilkunst, Trendforschung usw. Diese Zusammensetzung entsprach genau dem, was die Veranstalterinnen zur Förderung respektive Intensivierung eines interdisziplinären und transkulturellen Dialogs anstreben.

Das Vortragsprogramm der Tagung war solcherart in drei Sektionen untergliedert, dass die Vorträge interdisziplinäre Fragestellungen aufwarfen und die Beiträge zu entsprechend lebhaften Diskussionen führten. Sektion 1 handelte von technischen Verbindungen im Spannungsfeld von Wissenschaft und Kreativität. Hierzu gab es zwei Beiträge. KERSTIN KRAFT (Philipps-Universität Marburg) als Vertreterin eines kulturanthropologischen Ansatzes unterzog ausgewählte textile Techniken einer detaillierten Objekt- und Prozessanalyse und gelangte auf diesem Weg zu historischer Interpretationsbreite. Dabei wurde die zentrale Bedeutung manueller Tätigkeit für geistige Abläufe herausgestellt. Krafts technomorphologischen Analysen führten von der Beobachtung von Handlungsabfolgen bei „weiblichen Handarbeiten“ zu deren Anwendungsspektrum in Form von aktiven rhythmischen Handlungsfolgen, Gehirntraining oder kunsttherapeutischen Einsatzmöglichkeiten.

In dem anschließenden Vortrag von VERENA KUNI (Goethe-Universität Frankfurt) ging es um „Intelligente Verbindungen zwischen Handarbeitstraditionen und digitalen Technologien“. Kuni demonstrierte anhand aktueller Beispiele wie der Online-Community „Stich’n Bitch“, subversiven Handarbeitszirkeln wie „Naughty Needles“ und politischen Protestkulturen, zum Beispiel „Knit for Peace“, wie sich traditionelle Handarbeiten durch aktuelle und subversive Inhalte neu konstituieren. Zahlreiche Beispiele regten zu weiteren Fragestellungen an.

Sektion 2 thematisierte historische Verbindungen als technische Innovation und gestalterische Inspiration. Zunächst präsentierten CHRISTIANE SYRÉ und MARTIN SCHMIDT vom LVR-Industriemuseum (Rheinisches Landesmuseum für Industrie- und Sozialgeschichte) ihre Untersuchung zur frühen Fabrikgeschichte anhand der ersten vollmechanischen Baumwollspinnerei auf dem Kontinent und ihres Gründers, dem Kaufmann J. G. Brügelmann. Die Einblicke in die Verbindungen von kaufmännischem Kalkül, Unternehmergeist, dem Gespür für Marktchancen und der Begeisterung für Fortschritt, belegt durch zeitgenössische Dokumente, waren höchst aufschlussreich. Die durch die Herstellung modischer Baumwollstoffe erzielte „Emanzipation eines Materials“, welches bis dato in Europa eine umstrittene Wertschätzung genossen habe, wurde von den Anfängen bis zur Marktreife dargestellt und kommentiert. Der Vortrag von ELISABETH HACKSPIEL (Hochschule Niederrhein; Fachhochschule Hannover) knüpfte hier unmittelbar an. Hackspiel rekonstruierte den technischen und interkulturellen Designwettstreit am Beispiel des Kaschmirschals und belegte, wie eine traditionelle Technik aus Asien durch neue westliche Technologien vereinnahmt und verändert wurde, bis letztere schließlich den Sieg davon trugen. Sie untersuchte dabei die neuen Möglichkeiten der Musterrapportgestaltung, die die Technik des Jacquardwebstuhls ermöglichte.

Im Anschluss daran setzte sich JOCHEN RAMMING (Frankonzept, Würzburg) mit der Diffusionsgeschichte der Nähmaschine für den Alltagsgebrauch und den Folgen auseinander. Rammings Fokus lag auf der Schnittstelle von „Heimnäherin“ und Konfektionssindustrie. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie sich der extrem höhere Produktionsausstoß an Nähmaschinen in den 1870er Jahren und die damit Hand in Hand gehende Preissenkung auf die Fertigung von Kleidung in Heimarbeit auswirkte. Der folgende Vortrag von JOSEPHINE BARBE (Technische Universität Berlin) demonstrierte die Verbindung von technischem Fortschritt und gestalterischen Chancen am Beispiel des „Schnürleibs“ im 19. Jahrhundert. Barbe ging es um die Auswirkungen von neuen Technologien – dem mechanischen Einschlagen von Ösen, der Stahlfederproduktion, der Erfindung der Vulkanisation von Kautschuk etc. – auf die Herstellung von Korsetts und deren Entwicklung zur Massenware.

Den Abschluss der zweiten Tagungssektion bildete der Vortrag von LARS BLUME (Ruhr-Universität Bochum), der die Verbindung von einem neu entwickelten Material mit symbolischen Aussagen durch gezieltes Marketing und Politik am Beispiel der Vistra-Zellwolle in den 1930er Jahren aufzeigte. Besonders interessant war die Darstellung sich wandelnder Werbestrategien im Zeichen von Technikeuphorie und Fortschrittsoptimismus: Aus dem einst minderwertigen Ersatzstoff wurde so ein modernes Qualitätsprodukt. Höhe- und Schlusspunkt der Geschichte von Vistra war die Ausdifferenzierung der Faserqualität, gemäß dem Motto „Mit Vistra lassen sich alle Vorstellungen realisieren“ – ein Motto, das die nationalsozialistische Propaganda in ihrem Sinne nutzte: „Zellwolle hilft siegen“.

In einer dritten Tagungssektion wurde nach Verbindungen für die Zukunft, Perspektiven und Utopien gefragt. Die ersten beiden Vorträge hatten theoretischen, die beiden letzten praktischen Bezug. Zunächst sprach ELKE GAUGELE (Akademie der Bildenden Künste Wien) über Politiken der Techno-Moden vom Futurismus bis ins Space-Age. Ausgehend von frühen Utopien der Futuristen überprüfte sie Technikvisionen, die ihren Ausdruck in Kleiderentwürfen fanden. Sie zeigte unter anderem wie die Begeisterung für die Weltraumforschung und den Cybernetic Body (Cyborg) in den 1960er Jahren ihren Rückhall in Mode und Film fand und dort mit neuen Vorstellungen zu Geschlechterrollen verbunden wurde. Gaugeles Vortrag endete mit einer kritischen Betrachtung aktueller Technomoden und ihrem Verhältnis zu neuen globalen Zukunfts- und Herrschaftsphantasien sowie ihrer Rolle bei den großen sozialen Umwälzungen der Postmoderne. Sodann analysierte ANNETTE TIETENBERG (Hochschule für Bildende Künste Braunschweig) den von Paco Rabanne für den Science-Fiction-Film „Barbarella“ kreierten „Space Look“. Sie zeigte, in welchem Maß Rabannes Kostüme als Bekenntnis zu einer modernen Materialästhetik und „Angriff auf die Sinne“ die in den 1960er Jahren verbreiteten Entgrenzungsphantasien der Weltraumforschung und der „freien Liebe“ visualisierten.

DOROTHEA NICOLAI (Kostümdirektorin am Opernhaus Zürich) stellte ein Thema aus ihrer Praxis vor: „Leicht ist schwer“ gewährte Einblicke in neue Technologien der Kostümgestaltung am Beispiel von gewickelten Kohlefaserstäben. Während die vordem eingesetzten Materialien – Weide, Fischbein, Federbandstahl, Plastik, Silikonstäbe – bei einem Reifrock ein Gewicht von bis zu 5 Kilogramm auf die Waage brachten, ist dies bei dem neuen Material nur ein Bruchteil. Hinzu kommt, wie Nicolai anhand von Beispielen aus der Aufführungspraxis berichtete, dass die gewickelten Kohlefaserstäbe extrem belastbar und widerstandsfähig sind. EVA-MARIA FLACKE (Hochschule Niederrhein) ergänzte mit ihrer detaillierten Vorstellung des Entwurfs- und Umsetzungsprozesses von elektroluminiszenten Wohntextilien die dritte Sektion durch ein weiteres konkretes Projekt. Sie demonstrierte die Möglichkeiten von elektroluminiszenten Medien und deren Grenzen in der textilen Anwendung.

Einen Höhepunkt der Konferenz bildete der abendliche Festvortrag von INGRID LOSCHEK (Hochschule Pforzheim). Die renommierte Modewissenschaftlerin thematisierte die spannende Frage „E-Dress – wearable electronics. Die Mode von Morgen?“ anhand von sorgsam gewählten Bildbeispielen aus dem aktuellen Modedesign. Nach einer aufschlussreichen Analyse der bereits bestehenden Möglichkeiten von intelligenter Kleidung etc. stellte die Referentin kritische Fragen an die Zukunft. Welchen Einfluss wird die Mensch-Computer-Kleidungssymbiose auf unser Leben nehmen? Mit welchen Auswirkungen und Gefährdungen müssen wir für den Schutz unserer Privatsphäre und unserer Gesundheit rechnen?

Mit dieser im besten Sinn interdisziplinären Tagung gelang es den Veranstalterinnen, erstmals Fachleute und Interessierte aus den verschiedensten Bereichen zusammenzuführen, denen an einem breiten, fachübergreifenden Austausch zur Kulturgeschichte und -wissenschaft von Textilien, Kleidung und Mode gelegen ist. Die im Rahmen der drei Tagungssektionen gehaltenen Vorträge sowie die daran anschließenden lebhaften Diskussionen stellten grundlegend neue inhaltliche Bezüge zwischen den bis dato häufig sehr heterogenen Ansätzen der Textil- und Modeforschung her: so beispielsweise durch die Verbindung von technischen mit geisteswissenschaftlichen Fragestellungen (Kraft; Kuni; Hackspiel), von historischen Betrachtungen mit aktuellen Sichtweisen (Syré/Schmidt; Ramming; Barbe; Bluma; Gaugele; Tietenberg), von Erfahrungen aus der textilen Praxis mit theoretischen Überlegungen (Nicolai; Flacke)… Anhand von konkreten Beispielen wurden hier neue interdisziplinäre Denkmodelle erprobt und damit Perspektiven für den zukünftig intensivierten wissenschaftlichen Austausch im Interesse einer zeitgemäßen und lebendigen Textil-, Kleider- und Modeforschung aufgezeigt.

Die unter dem Motto „Intelligente Verbindungen“ gehaltenen Vorträge sollen in einem Tagungsband veröffentlicht werden. Darauf darf man ebenso gespannt sein wie auf die Wahl des neuen Themenschwerpunkts für die nächste Konferenz des netzwerk-mode-textil e. V

Konferenzübersicht:

Sektion 1 - Technische Verbindungen: Wissenschaft und Kreativität

Kerstin Kraft (Philipps-Universität Marburg): Grundlegende Betrachtungen zur Technik. Technomorphologische Analysen des Textilen.

Verena Kuni (Goethe-Universität Frankfurt): StickEN & StrickEN. Intelligente Verbindungen zwischen Handarbeitstradition und digitalen Techniken.

Sektion 2 - Historische Verbindungen: technische Innovation und gestalterische Inspiration

Christiane Syré und Martin Schmidt (LVR-Industriemuseum, Standort Ratingen): Erfindungen für die Zukunft oder Traditionen im neuen Gewand. Die erste Fabrik auf dem Kontinent.

Elisabeth Hackspiel-Mikosch (Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach): Der Kaschmirschal und der Jacquardwebstuhl. Ein technischer und interkultureller Designwettstreit zur Zeit der Industriellen Revolution.

Ingrid Loschek (Hochschule Pforzheim): Denkende Kleidung oder virtuelle Ästhetik. Die Zukunft der Mode. (Festvortrag)

Jochen Ramming (Frankonzept, Würzburg): Nähtechnologie für den Alltagsgebrauch. Popularisierungsstrategien und Konsumtionsverlauf bei der Verbreitung der Nähmaschine in Privathaushalten.

Josephine Barbe (Technische Universität Berlin): Der Schnürleib zwischen technischer Innovation und weiblicher Leidenschaft.

Lars Bluma (Ruhr-Universität Bochum): „Neuer Stoff bringt neue Formen“. Vistra und das Textildesign in den 1920er und 1930er Jahren.

Sektion 3 - Verbindungen für die Zukunft: Perspektiven und Utopien

Elke Gaugele (Akademie der Bildenden Künste Wien): Agenten in Vision. Politiken der Techno-Moden vom Futurismus bis ins Space Age.

Annette Tietenberg (Hochschule für Bildende Künste Braunschweig): Paco Rabannes Space Look für „Barbarella“.

Dorothea Nicolai (Opernhaus Zürich): Leicht ist schwer. Der Einsatz von gewickelten Kohlefaserstäben im Kostümbild.

Eva-Maria Flacke (Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach): Alternative Farbgebung auf Textilien. Integration elektroluminiszenter Elemente in Wohntextilien.